Landwirtschaft im Wandel

So wie sich Menschen dem Klima anpassen müssen, so muss es auch die Landwirtschaft. Durch die zunehmende Unfruchtbarkeit der Böden gerät der Weg unserer Lebensmittel vom Feld bis zu uns in eine riskante Lage.

Eine Reportage von Ayesha Ali und Lorenz Eggimann

Felder des Brunner Eichhofs
Felder des Brunner Eichhofs

Der Brunner Eichhof

Um sieben Uhr ist der Hof umgegeben von schönen Feldern und Folienhäusern. Der Hof liegt im sanften Licht der untergehenden Sonne. Die Felder erstrecken sich in alle Richtungen und sind mit bunten Pflanzen bedeckt, die im sanften Wind tanzen. Die zwei Hunde der Familie streifen frei herum und scheinen ihre Freiheit zu geniessen. Seit sechs Generationen liegt das Herz und die Seele der Familie Brunner im Brunner Eichhof.

Es ist ein wunderschöner Tag, weit weg von den hektischen Geräuschen der Stadt. Der Hof befand sich neben einem Meer aus Feldern. 

Brunner stand vor der Haustür mit einem herzlichen Lächeln, seine Hände noch leicht verschmutzt von der abendlichen Arbeit. Seine Tochter bringt einen Kessel frisch gepflückter Erdbeeren – ein Zeugnis für die Ernte des Tages und die familiäre Beteiligung auf dem Bauernhof. 

Brunner ist Bio-Bauer, Vater von vier Kindern und Geschäftsführer auf seinem Hof. Das Motto seines Betriebs lautet: regenerativ, innovativ und adaptiv. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er fortlaufend neue, innovative Anbaumethoden. Im Jahr 2010 übernahm Brunner den Betrieb. Er erinnert sich an eine Zeit, als das Klima noch ausgeglichener war. „Als ich den Betrieb übernahm, hatte sich das Klima recht gut angepasst. Natürlich gab es einige Verschiebungen“, erklärt er. Doch in den letzten fünf Jahren hat sich das drastisch verändert, es gibt nur noch Verschiebungen. „Heute haben wir jeden Sommer eine Hitzewelle. Das Extreme ist zum Normalzustand geworden“, fügt er hinzu. Ein markantes Beispiel hierfür ist der 20. Juni 2021, als ein unerwartet heftiger Hagelsturm über die Felder zog. „Es hagelte wie verrückt, so etwas erlebt man normalerweise nur alle 20 bis 30 Jahre. Der Schaden war enorm“, berichtet Brunner. Doch das war nicht das Ende der Herausforderungen. „Nach diesem Tag gab es in diesem Jahr keinen richtigen Sommer mehr“, erinnert sich Brunner. Pflanzen, die normalerweise im August geerntet werden, erreichten nicht einmal bis Oktober ihre Reife. „Es wurde einfach nicht warm genug“, klagte er. 

Schäden auf dem Bauernhof durch den Hagel am 20. Juni 2021
Schäden auf dem Bauernhof durch den Hagel am 20. Juni 2021

Der Teufelskreis der Landwirtschaft

Die Auswirkungen des veränderten Klimas sind beachtlich. Wenn die Felder nass sind und man mit dem Traktor darüber fährt, wird der Boden zerstört, indem der Traktor die Erde zusammendrückt und verdichtet. Aufgrund der extremen Wetterveränderungen gibt es nur wenige ideale Tage für die Landwirtschaft. Die Bauern und Bäuerinnen müssen in dieser kurzen Zeitspanne eine enorme Menge Land bewirtschaften. Dafür benötigen sie grosse Traktoren mit viel Leistung und einer hohen Flächenbedeckung. Diese schweren Maschinen verdichten jedoch die Erde, was ihre Fruchtbarkeit verringert. Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich bei feuchtwarmen Bedingungen im Boden die Pilze auf dem Feld ausbreiten können. Das bedeutet, dass stärkere Maschinen benötigt werden, um die Pilze zu bekämpfen. Diese schädigen jedoch das Erdreich noch mehr. Das nennt Brunner ,,Den Teufelskreis der Landwirtschaft’’. 

Es gibt Kulturen, die wir schon lange hätten säen oder setzen sollen, aber das war einfach nicht möglich, weil es zu nass war."

Stefan Brunner, Gemüseproduzent Eichhof

Das Zentrale der Bodenqualität

Das Verschwinden verschiedener Anbaukulturen kann für viele Landwirte schwierige Folgen haben. Diese Folgen kommen in der Bodenqualität zum Vorschein.

Es gibt verschiedene Aspekte, die einen Boden zu einem guten Boden machen. Doch einer der wichtigsten Aspekte ist der Humus im Boden. Wie auch bei den meisten die Vorratskammer ein wichtiger Nahrungsmittelspeicher ist, so ist es auch der Humus für die Pflanzen. Der Humus speichert Wasser und Nährstoffe, die den Pflanzen zur Verfügung stehen. Dies führt zu einem verstärkten Wachstum und einer besseren Nährstoffzusammensetzung der Pflanzen. Pflanzen, die in solchen Böden wachsen, sind nicht nur kräftiger, sondern auch nährstoffreicher und gesünder. Obwohl die Produktion von Pflanzen mit synthetischem Dünger und Pestizid wesentlich effizienter ist, ist das geerntete Gemüse deutlich ungesünder im Vergleich zu Pflanzen, die ohne synthetischen Dünger und Pestizide angebaut werden. Zum Grossteil besteht der Humus aus Pflanzenresten, die von Bodenorganismen in mikroskopisch kleine Teile zerlegt werden. Auch die Reste von Tieren und Mikroorganismen werden letzten Endes in Humus umgewandelt. Pestizide töten nicht nur schädliche Insekten, sondern auch nützliche Organismen, die für den Aufbau und Erhalt des Humus unerlässlich sind. Der Verlust dieser Organismen führt zu einer Schwächung des Humus und somit zu einer verminderten Bodenfruchtbarkeit.

Mit Erde aus seinem eigenen Garten in den Händen erklärt Brunner, wie unglaublich entscheidend eine vielfältige Bodenlebensgemeinschaft für die Gesundheit des Humus ist. In der Erde in Brunners Händen bewegten sich kleine Bodenwesen. Der Boden von Brunner enthält ungefähr 3-4% Humus, was eigentlich sehr wenig ist.  Auf den Feldern von Brunner wären 10% Humusgehalt ideal, weil es somit noch besser funktionieren würde. 

Pestizide sind „Humusvernichter“. Doch auch die Bodenbearbeitung trägt dazu bei. Brunner erläutert, dass die Übernutzung des Bodens stets zu einer Degradation des Humus führt, was wir deutlich mit seinem Gesichtsausdruck gespürt haben. Er erklärt, dass jedes Mal, wenn er mit einem Traktor und einer Maschine darüberfährt, dem Bodenleben das Haus komplett auf den Kopf gestellt wird.

,,Man kann sagen, dass Humus wie eine Stadt ist. In dieser gibt es genügend Doktoren, genügend Schüler, genügend Polizisten usw. Es hat von allem, was es braucht, genug. Dann funktioniert die Gesellschaft. Und wenn jetzt ein Boden einfach plötzlich keine Strassen mehr hat, oder keinen Doktor, dann muss man immer von aussen helfen. Und ob man dann immer trifft, was es gerade braucht, ist eher schwierig. Es steckt viel Wissenschaft dahinter, aber sie muss auch am richtigen Zeitpunkt angewendet werden. Wie man sieht, gibt es viele Hürden. Aber wenn der Boden genug Humus hat, dann ist es dann relativ egal, wenn es mal richtig stark regnet, weil er das ohne grosse Schäden aufnehmen kann.''

Stefan Brunner, Gemüseproduzent

Im Garten der Brunners beginnt es zu dämmern, als sich die Sonne langsam dem Horizont nähert. Brunner zieht sein Messer aus der Tasche und schneidet bedächtig ein Stück Erde aus dem Boden seines Gartens. Er erklärt uns eine Lösung: Anstatt den gesamten Boden zu bearbeiten, entfernt man nur die oberste Schicht von etwa 5–10 cm, bearbeitet oder kultiviert sie und setzt sie wieder ein. Dadurch wird nur der oberste Teil des Bodens bearbeitet, und da der Humus bis zu 25–30 cm tief in den Boden reicht, bleibt ein grosser Teil des Humus erhalten.

Unter dem Teppich

Herbizide und Pestizide entstanden durch Hungersnöten und somit änderte sich die Ernährung mit der Zeit. ,,Pestizide waren genial, eine wirtschaftliche Revolution’’, sagt Brunner. Nach dieser ,,wirtschaftlichen Revolution’’ gab es enorme Erträge; Lebensmittel wie Kartoffeln verbreiteten sich weltweit. „Ohne all diese Kunstdünger, Pestizide und ähnliches hätten wir vermutlich nicht den Wohlstand, den wir jetzt haben. Es wäre nicht so schnell gegangen. Wir hätten es schon durch eine Hungersnot geschafft, aber es wäre sicher nicht so schnell gegangen,“ stimmt Brunner zu. 

Doch das hatte seine Konsequenzen. Durch diese Pestizide und Dünger entstehen? verschiedenste Krankheiten. Immer mehr und stärkere Düngemittel werden auf den Boden ausgebracht. „Das ist das Problem, das unter den Teppich gekehrt wird. Und unter dem Teppich, wo man es nicht sieht, wird das Problem grösser und grösser“, sagt Brunner. Alles hängt zusammen: unser Klima, der Boden, unsere Lebensmittel und unsere Gesundheit. Zurückzugehen ist schwierig. Unsere Gesellschaft ist an einem kritischen Punkt angelangt. Es muss etwas unternommen werde, bevor es zu spät ist.

Deshalb fragen sich viele, ob Bio-Anbau die Lösung ist. Laut Brunner ist immer wieder von Biobauer und Biobauerinnen zu hören, die ein Burnout haben. Um Bio zu produzieren, sind riesige Anfangsinvestition nötig und es braucht mehr Zeit als bei konventionellen Produkten. Konventionelle Produkte haben auch deutlich niedrigere Kosten und höhere Erträge, was eine stetige Versorgung sicherstellt.

Das ist so, weil der konventionelle Anbau synthetische Chemikalien verwendet, um das Wachstum zu fördern und die Pflanzen zu schützen. Der biologische Anbau vermeidet synthetische Chemikalien und setzt stattdessen auf natürliche Substanzen und Verfahren. Das führt dazu, dass Bio-Obst und -Gemüse höhere Nährstoffwerte und geringere Mengen an giftigen Metallen aufweisen. Viele entscheiden sich aber lieber für das konventionelle, da es weniger kostet und aufgrund von Konservierungsstoffen und anderen Behandlungen eine längere Haltbarkeit hat. Bioprodukte verderben daher schneller. Allerdings ist von grösster Bedeutung, dass biologische Anbaumethoden die Nährstoffqualität steigern, die Bodengesundheit fördern, indem sie den Humusanteil erhöhen, Wasser sparen und die biologische Vielfalt unterstützen.

Permakultur

Permakultur schafft nachhaltige Systeme, die der Natur nachempfunden sind. Diese Systeme unterstützen das Gedeihen von Pflanzen, Tieren und Menschen, ohne der Umwelt zu schaden. Durch effiziente Nutzung von Ressourcen, Reduzierung von Abfall und die Pflege von Boden und Wasser fördert Permakultur die ökologische Gesundheit. Sie zielt darauf ab, eine effiziente Produktion zu behalten, während wir gleichzeitig einen gesunden Planeten für kommende Generationen sichern. In der Permakultur wird darauf Wert gelegt, dass manuelle Arbeit so weit wie möglich genutzt wird. Permakultur lehrt, im Einklang mit der Natur zu leben und so eine nachhaltige Welt zu gestalten.

Preisermittlung und Lebensmittelqualität

Brunner erklärt, dass jeder Kassenzettel von Lebensmitteln wie ein Stimmzettel ist. Das, was nachgefragt wird und genug Geld bekommt, wird natürlich produziert. Das Problem dabei ist, dass beim Einkauf von Lebensmitteln nicht darauf geachtet wird, was sie enthalten, wie gesund sie sind oder wie viele Nährstoffe sie enthalten. 

Als Brunner die Lebensmittel abliefert, mustert der Kontrolleur jedes Stück mit kritischem Blick. Alles Unperfekte wird sofort aussortiert. „Preisabschläge“, murmelt der Kontrolleur, während er fehlerhafte Kartoffeln beiseitelegt. Jeder Makel bedeutet weniger Geld für Brunners harte Arbeit.

“Nie hat jemand hineingebissen. Wie viele Nährstoffe dort drin sind, interessiert niemanden im Grosshandel. Es ist nicht relevant für den Preis." 

Stefan Brunner, Gemüseproduzent Eichhof

Aus diesem Grund sind die meisten Landwirte darauf angewiesen, schöne Lebensmittel zu produzieren, da sie überleben müssen. Konventionelle Lebensmittel werden weiterhin produziert und die Bodenfruchtbarkeit wird weiterhin sinken. Kurz gesagt, ist es unerlässlich, dass sich die Art und Weise der Preisermittlung ändern muss. Auch ist es wichtig, dass die Bauern gebildet werden. Es gibt zu wenige Personen, die wissen, wie z.B. Permakultur funktioniert. 

Sicht in die Zukunft

Laut Brunner ist die Permakultur die Lösung für die aktuellen Herausforderungen in der Landwirtschaft. Der Schwerpunkt dieser nachhaltigen Praxis liegt auf der Regeneration und Bodenfruchtbarkeit, die für die langfristige landwirtschaftliche Produktivität von entscheidender Bedeutung sind.

Brunner ist überzeugt davon, dass es realistisch ist, anzunehmen, dass Permakultur und regenerative Landwirtschaft eines Tages in der Schweiz einen bedeutenden Platz einnehmen könnten. Für Brunner ist die Permakultur nicht nur eine Methode, sondern eine Vision einer besseren, nachhaltigeren Zukunft. 

Wenn alles manuell erledigt werden muss, wird es zwangsläufig länger dauern. Die Zukunft dieser Praktiken hängt von der Verfügbarkeit von permakulturfreundliche Maschinen ab. Es muss viel investiert werden, um permakulturfreundliche Maschinen zu entwickeln und verfügbar zu machen. Permakultur und Bio-Landwirtschaft priorisieren beide nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken, die synthetische Chemikalien vermeiden, die Bodengesundheit durch natürliche Methoden wie Kompostierung und Fruchtfolge betonen und die Biodiversität fördern, um die Resilienz des Ökosystems und langfristige Umweltverantwortung zu stärken. Brunner ist überzeugt, dass bei steigender Nachfrage nach Bio-Produkten auch die Investitionen in die Permakultur zunehmen würden.

Brunner sieht eine Welt vor sich, in der nachhaltige Praktiken nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit sind. Brunners Leidenschaft und Hoffnung sind ansteckend. Es liegt an uns, diesen Traum zu verwirklichen und eine bessere, gesündere Welt für die kommenden Generationen zu schaffen.

Am Ende des Tages ist es merklich kälter geworden, der Erdbeerkessel fast leer. Der Brunner Eichhof ist umgeben von einer ruhigen, nachdenklichen Atmosphäre. Das warme Licht der untergehenden Sonne taucht die Felder in ein sanftes Leuchten, Erkenntnisse von Stefan Brunner und die Herausforderungen der Landwirtschaft bleibt noch stets präsent. 


Herzlicher Dank an Stefan Brunner